Taunus Zeitung Dienstag, 05. Oktober 2021
Ohne Musik kein richtiges Leben
KÖNIGSTEIN – Gesangslehrerin Reinhild Fassler ist erleichtert, wieder arbeiten zu können
Reinhild Fassler und ihre Schülerin Irina Bauer proben nach der langen Corona-Pandemie mit neuer Zuversicht. In Königstein unterrichtet die einstige Opernsängerin, die wegen ihres großen sozialen Engagements bekannt ist, Gesang. FOTO: Esther Fuchs
Der Körper ist aufgerichtet. Die Beine stehen hüftweit auseinander. Irina Christine Bauer prüft die Haltung im Spiegel, holt tief Luft und setzt zu einem sanften „BRRR“ Lippen, Kehlkopf und Stimmbänder in Bewegung. Irina Bauer ist professionelle Sopranistin. Ihrer Stimme verleiht sie im Gesangunterricht bei Reinhild Fassler „noch mehr Feinschliff“.
Reinhild Fassler wohnt in Königstein. Eigentlich kennt man sie aufgrund ihres langjährigen sozialen Engagements für die Obdachlosen des Franziskustreffs in Frankfurt.
Reinhild Fassler ist jedoch eigentlich professionelle Opernsängerin. Bis zu seinem Unfalltod 1997 war sie ferner mit dem berühmten Heldentenor Wolfgang Fassler verheiratet.
In ihrer Wohnung in der Gerichtstraße erteilt die einstige Opernsängerin mit Ausbildung am Mozarteum in Salzburg Kindern, Teenagern, Erwachsenen und Profis wie Irina Bauer Sprech-, Stimm- und Gesangsunterricht.
Seit einiger Zeit kann Reinhild Fassler glücklicherweise wieder arbeiten – in ihrem gut durchlüfteten Musikzimmer. Auf Abstand. Denn Gesangsunterricht durfte in den letzten eineinhalb Jahren der Pandemie nur sehr eingeschränkt stattfinden.
„Es ist gut, dass wir wieder arbeiten dürfen“, unterstreicht die Pädagogin und erhält den Zuspruch ihrer Schülerin. Für beide Frauen war die Covid-Krise lang und leise. Keine Schüler. Keine Konzerte. Keine Übungsstunden. Keine Einnahmen. Engagierte Schülerinnen Fasslers konnten nicht singen. „Eine meiner Schülerinnen gab in Königstein immer Hauskonzerte. Selbst die fielen aus“, so Reinhild Fassler.
Ein Leben ohne Auftritte, ohne Musik, sei kein richtiges Leben, sagt die einstige Opernsängerin und verweist auch auf die finanziellen Einbußen.
„Wir sind beide erleichtert, dass wir wieder arbeiten dürfen“, sagt auch Irina Bauer. Am Unterrichtstag hatte sie bereits einen Auftritt in Bad Homburg, probt am Nachmittag aber trotzdem. Reinhild Fassler hat sich für die begabte Sopranistin starkgemacht und in Folge eine Spende vom Königsteiner Herren-Lions-Club entgegennehmen dürfen. Zehn Unterrichtseinheiten konnten so gesponsert werden. Das Erlernte konnte vertieft werden. Der Dank ist groß.
Soziales Engagement auch in der Pandemie
Reinhild Fassler betont: „Nicht, dass mir während Corona langweilig gewesen wäre. Ich habe ja acht Enkel und die Obdachlosen.“
Das soziale Engagement ist Reinhild Fassler wichtig. Seit Jahrzehnten sammelt sie für die Armen des Franziskustreffs. An Ostern und Weihnachten fährt sie kistenweise Schokolade, Kaffee, Süßes und auch mal Kleider ins Schärfengässchen.
„Das lief natürlich auch während der Krise weiter“, so die Musikpädagogin. Der Unterrichtsausfall machte sich hingegen im eigenen Geldbeutel bemerkbar. Daher kam die Spende der Lions nicht nur Irina Bauer, sondern auch Reinhild Fassler sehr gelegen.
Seit einiger Zeit fährt Irina Bauer wieder wöchentlich von Frankfurt zum Unterricht nach Königstein. „Nun können wir auf dem Erlernten aufbauen und meinen Gesang weiter verbessern“, sagt sie zuversichtlich.
In der Marienkirche sang Bauer kürzlich das „Ave Maria“ von Schubert. „Doch da geht noch mehr“, sagt sie selbstkritisch.
Am Klavier intoniert Reinhild Fassler daher die passenden Töne zum Einsingen. Zwerchfell, Stimmbänder, Kehlkopf und Muskulatur werden gelockert. Das sanfte „Brrrrr“ wandelt sich in ein langes „Uhhh“. Es folgen Tonleiterübungen und dann Musik.: „Mit einem inneren Lächeln, bitte“, ermuntert Reinhild Fassler. Die Töne vereinen sich „in einem schönen Legato“.
Die nächsten eineinhalb Stunden Gesangsunterricht vergehen wie im Flug. Der Gesang klingt durch die geöffneten Fenster des Fachwerkhauses in der Gerichtstraße und macht Hoffnung auf einen musikalischen Herbst.
Esther Fuchs
Quellenangabe: Taunus Zeitung vom 05.10.2021, Seite 14