KÖNIGSTEIN – Lions übergeben Bronzemodell, das Blinden einen Eindruck von der Stadt vermitteln soll
Der Künstler Egbert Broeken (Mitte) erläutert Bürgermeister Leonhard Helm (l.) und Lions-Präsident Daniel Fischer die Idee, die hinter dem Bronzemodell steht. FOTO: Schneider
Ganz zufällig hatte das Trio „Blind Foundation“ den Welthit von Bill Withers „Ain’t no sunshine when she’s gone“ wohl nicht als Intro bei der Einweihungszeremonie für das Bronze-Modell der Königsteiner Innenstadt gewählt. Die Liedauswahl der blinden Combo war symbolisch, soll das Modell doch gerade blinden Besuchern der Stadt erlauben, diese mit den Fingern abzulaufen, zu ertasten. Das Anfassen des Modells ist also nicht nur nicht verboten, sondern im Gegenteil ausdrücklich erwünscht.
Zum Spaziergang mit den Augen anregende Stadtmodelle gibt es viele, für Sehende, weniger für Blinde. Doch auch da sind es inzwischen 240 weltweit, allein aus dem Atelier des Soester Künstlers Egbert Broeken, der auch bei dem nun am Eingang zur Fußgängerzone auf einem eineinhalb Tonnen schweren Brocken Mammolshainer Serezit-Gneis montierten Stadtmodell im Maßstab 1:650 im wahrsten Sinne seine Finger im Spiel hatte.
Das Modell wurde vom Lions Club Königstein für 35 000 Euro in Auftrag gegeben. Die Idee, blinden Menschen auf diese sehr spezielle Art zu zeigen, wie schön die Königsteiner Innenstadt mit der Burg, dem Alten Rathaus, Villa Andreae und ihren verwinkelten Gassen ist, hatte Lions-Freund Heinz Alter, der so etwas von sieben Jahren einmal in Basel gesehen und sofort gemeint hat, dass das auch nach Königstein gehöre, erklärte Lions-Präsident Daniel Fischer bei der Enthüllung.
Fischer sagte, es bereite den Lions sehr viel Freude, diese außergewöhnliche Aktion gestartet zu haben. Das Modell sorge an dieser Stelle nicht nur für Kommunikation in, sondern auch für Identifikation mit der Stadt. Er betonte auch, dass andere Hilfsprojekte nicht unter der Aktion zu leiden hätten, „dass hier ist on-top und wurde uns dank zahlreicher Spenden ermöglicht.“
Ideengeber Alter war selbst nicht da, wurde aber per facetime zugeschaltet und virtuell gegrüßt. Den Kontakt zum Künstler hatte Norbert Meyer hergestellt. Egbert Broeken war natürlich gerne zur Enthüllung des bis zum feierlichen Akt mit der Königsteiner Flagge bedeckten Modells gekommen. Seit vielen Jahren erschafft er solche Modelle für seine Auftraggeber in aller Welt, auf seiner Agenda stehen sogar New York, Los Angeles und Baku.
Die Idee, blinden Menschen Stadtführungen mit den Fingerspitzen zu bieten, habe er daheim in Soest gehabt, als eine Fremdenführerin einer Gruppe blinder Kinder den Dom zeigte, die Kinder auch den Kopf in den Nacken legten, um 82 Meter zu erahnen, aber natürlich nichts sahen, „da war mir klar, dass ich etwas tun musste“, erzählte Broeken.
Für das Königsteiner Modell standen ihm Katasterkarten zur Verfügung, aber auch die von ihm selbst von jedem Haus gemachten Fotos. Mehrfach ist er alle Gassen abgelaufen, auch in verschiedene Richtungen, um die Perspektiven zu erkennen. Schwierig sei es gewesen, die Höhenlinien des Burgbergs aufzunehmen. Am Ende waren 150 Kilo Goldbronze, legiert aus 90,5 Prozent Kupfer, 6,5 Prozent Zinn und 3 Prozent Zink, akribisch durch das Ausgießen einer Wachsform modelliert. Damit sich das Modell auch nicht ortskundigen Sehenden erschließt, hat er die Straßennamen nicht nur in der von Blinden anhand winziger Pünktchen lesbaren Brailleschrift beschriftet, sondern auch in normaler Schrift. „Durch fortwährendes Anfassen bekommt das Material bald einen goldenen Schimmer, quasi Patina“, erklärte der Künstler.
Bürgermeister Leonhard Helm (CDU) geht fest davon aus, dass dieser Effekt zuerst beim Burgturm, der sicher schon bald von vielen Fingern ertastet sein wird, eintritt. Das Modell, so Helm, sei eine Bereicherung für die Stadt, deren Bewohner und Besucher. Die Blinden natürlich, aber auch die Sehenden hätten ihre Freude daran, die Stadt mit Fingerspitzengefühl zu erlaufen. Die Metapher, dass Blinde mit den Händen sehen, bekommt hier ein begreifbares Gesicht, so dass man getrost auch für Blinde von einer „Sehenswürdigkeit“ sprechen kann. Alexander Schneider
Quellenangabe: Taunus Zeitung vom 22.09.2021, Seite 15