Jana Tonsen

1. Zwischenbericht
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„Später möchte ich auf jeden Fall mal mit Künstlern zusammen arbeiten!“ Wirklich?
An die Ankunftstage in Gracanica erinnere ich mich mit einem Schmunzeln. Als ich in die Kleinstadt, ca. 10 Km von der Hauptstadt Pristina enfernt, fuhr, fühlte es sich zunächst so an, als würde ich Urlaub auf dem Land machen. Es gibt nur sehr wenige Straßen und meine Unterkunft stand auf einer Wiese, auf der auch die Hühner der Nachbarn frei herumlaufen. Anfangs musste ich mich in vielen Sachen erst mal umstellen…fließend Wasser gab es zum Beispiel nur von 12 – 17Uhr, meine Arbeitszeit war von 12 – 20 Uhr. Kulinarisch war ich dann auch nicht mehr sehr kreativ, da es keinen Ofen oder Herd gab. Alles Kleinigkeiten, die einem zunächst wie ein Desaster erscheinen, aber an die man sich erstaunlich schnell gewöhnt.
Auffallend an der serbischen Enklave im Kosovo sind natürlich auch die vielen nationalistischen Symbole, wie die Statue des serbischen Nationalhelden Miloš Obilić (ein Pendent zur Skanderbergstatur in Pristina), zahlreiche Flaggen und sogar die Brücke wurde in Nationalfarben gestrichen. Die Kleinstadt mit ca. 20.000 Einwohnern ist bei Touristen besonders beliebt wegen des serbisch-orthodoxe Klosters, das bereits 1321 gegründet wurde und seit 2006 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Trotz der relativ hohen Zahl an Einwohnern fühlt sich Gracanica an wie ein kleines Dorf. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Bewohner ihre Stadt nicht verlassen. In den albanischen Raum traut sich niemand.
Hier in Gracanica arbeite ich im Alternativen Kulturzentrum der Nichtregierungsorganisation „Center for Peace and Tolerance“. Diese Organisation setzt sich für eine Integration der im Kosovo lebenden Serben und Überwindung der Konflikte ein. Die Aufgabe des Kulturzentrums ist es, auf die Situation der Serben im Kosovo aufmerksam zu machen und den künstlerischen Austausch in der Region zu fördern.
In der Realität hat sich das Kulturzentrum allerdings nicht als eine Einrichtung erwiesen, die sich für die Annäherung der Serben und Albaner einsetzt. Die Künstler vor Ort habe ich als sehr nationalistisch und teilweise den Albanern gegenüber auch sehr feindlich eingestellt wahrgenommen. Die Bezeichnung „Republika Kosovo“ sollte man vor ihnen lieber nicht in den Mund nehmen, wenn man sich nicht einen langen, hassgeprägten Monolog anhören möchte. Auch künstlerisch war der serbische Nationalismus ein ständiges Thema. Wir haben zum Beispiel gemeinsam an Skulpturen gearbeitet, die für den serbischen „Freiheitskampf“ stehen. Das war schon der erste Unterschied zu meinen Erwartungen. Keine Toleranz, keine noch nicht mal gewünschte Annäherung.
Das Positive an dem Kulturzentrum sind die regelmäßigen Ausstellungen, zu denen die verschiedensten Leute sowohl sehr viel Internationale als auch Roma gerne kommen. Bei den Vernissagen wird immer viel geredet, angestoßen und zum Ende hin auch gerne getanzt.
Zu meinen Aufgaben zählten auch diese Veranstaltungen vorzubereiten und zu dokumentieren. Meine Hauptaufgabe bestand allerdings darin, den Künstlern bei ihren Arbeiten zu assistieren.
Allerding muss ich dazu sagen, dass tatsächlich nur eine von meinen täglichen 8 Arbeitsstunden mit Arbeit gefüllt war. Die restliche Zeit hab ich damit verbracht, auf Kollegen zu warten oder mit ihnen Kaffee zu trinken, bis sie endlich „arbeitsbereit“ waren, was wirklich ein sehr großes Problem war. Meine Kollegen haben alle sehr schwierige Kindheiten hinter sich und wurden durch viele einschneidende Ereignisse sehr geprägt. Es ist schwierig für sie, sich länger auf eine Sache zu konzentrieren, was die Arbeit für mich sehr schwierig bis manchmal auch unmöglich machte. Ich wusste ja, dass es anstrengend und kompliziert werden kann, mit Künstlern zusammen zu arbeiten. Aber die fast nicht vorhandenen Arbeitsaufgaben plus den starken Nationalismus und das Beharren auf diesem ließ mich zunehmend daran zweifeln, ob ich hier am richtigen Platz bin. Denn ich möchte dieses Jahr nicht mit Warten und Kaffeetrinken vergeuden.
Noch hinzu kommt, dass das Kulturzentrum mit einem anderen fusioniert. Das bedeutet, dass die Einrichtung umziehen wird und dieser Prozess kann sich über mehrere Monate hinziehen, in denen kaum Veranstaltungen stattfinden werden, also noch weniger Arbeit anfällt.
Es ist mir nicht leicht gefallen, aber ich habe mich dazu entschieden, das Projekt zu wechseln. Wahrscheinlich wird es für mich nach Skopje in Mazedonien gehen. Genaueres wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen.
Grundsätzlich kann ich sagen, dass ich den Kosovo kennen und lieben gelernt habe und hier trotzdem noch eine tolle Zeit hatte. Die Leute hier sind sehr offen und herzensgut! Außerdem bietet der Kosovo wirklich wunderschöne Kulissen, sei es die beeindruckende Altstadt in Prizren, die Rugova-Schlucht und die Mirusha-Wasserfälle oder die Berge in Peja! Ich habe trotz allem die Monate hier genossen und gerade auch von den verschiedenen Problemen sehr viel gelernt.
Und zum Schluss bin ich auch noch zu einer wichtigen Erkenntnis gekommen: Später mal mit Künstlern zusammen arbeiten? Das lasse ich mal lieber sein!

Jana Tonsen Dezember 2014