Verantwortung übernehmen, 28. Februar

Königstein Lokales und Politik 28. Februar 2018
„Verantwortung übernehmen, wenn die Welt sich ändert“

Dr. Joerg Unger, Präsident 2017/18, LIONS Königstein.

In diesen Tagen publiziert der Lions-Club Königstein zum fünften Mal die Jahresschrift „Wir fördern Initiative“, die ehrenamtlichen und gemeinnützigen Organisationen der Zivilgesellschaft aus Königstein eine Plattform bietet, Anerkennung, Freunde und Mitstreiter zu finden. Aus diesem Anlass hat der derzeitige Präsident Dr. Joerg Unger einige allgemeine Gedanken zur Verantwortung der Lions in der Gesellschaft formuliert (Publiziert in „Wir fördern Initiative, 2018“ Jahresschrift des LIONS-Clubs Königstein).

Seit der Gründung 1914 setzen sich Lions unter dem Motto „We serve“ für andere ein. Ein junger Geschäftsmann namens Melvin Jones initiierte die heute weltweit mitgliederstärkste Service-Cluborganisation in Chicago mit dem Ziel, Menschen unterschiedlicher Profession, Gesinnung und Herkunft zusammenzubringen. Ihm lag daran, Verständnis füreinander und Verständigung untereinander zu bewirken, um Konflikte zu reduzieren sowie nationale und internationale Freundschaften zu formen. Diese Mission ist aus meiner Sicht auch heute hochaktuell und kaum weniger wichtig als vor 100 Jahren.

Wir leben in bewegten Zeiten. Innovationen und technologische Entwicklungen ermöglichen vielen Menschen weltweit ein früher kaum für möglich gehaltenes langes, gesundes und äußerst vielfältiges Leben. Heute sind die Chancen einer Selbstverwirklichung und Gestaltung des persönlichen Glückes größer als jemals zuvor. Unzweifelhaft haben die Industrialisierung, der medizinische Fortschritt und die zunehmende Informationsvernetzung in vielerlei Hinsicht einen äußerst positiven Wandel der individuellen Lebensumstände bewirkt. Doch nicht wenige begegnen den sie mittel- und unmittelbar betreffenden Veränderungen mit Verunsicherung und zum Teil auch Ängsten. Nur selten gab es wohl auf der einen Seite so viel Hoffnung, Mut und Zuversicht, aber auf der anderen Seite gleichzeitig eine Verdichtung von Sorgen und Zweifeln.

Weltweit gewinnen Bewegungen, die auf Andersdenkende mit Abschottung und zum Teil auch Aggression reagieren, an Gewicht, sind Nährboden für ungeschminkt nationalistische, sich abschottende Strömungen. Dies verändert unsere multipolare Welt: Wir leben nicht in Kriegszeiten, doch Kriege und ihre Auswirkungen sind uns wieder beängstigend nähergekommen. Menschen in höchster Not fliehen und erreichen auch unser Land. Die Konsequenzen ferner Konflikte verändern unsere Politik, unsere Gesellschaft und werden in unserem Alltag teilweise bereits deutlich spürbar.

Es steht zu befürchten, dass im Zuge dieser Entwicklungen wesentliche Grundlagen unseres Zusammenlebens infrage gestellt werden. Im Kontext schneller Veränderungen geht mit der gewohnten Sicherheit häufig auch Orientierung verloren. Längst überwunden geglaubte archaische und destruktive Kräfte, die sich von dieser Verunsicherung und diffusen Verlustängsten nähren, können wieder erstarken. Es werden scheinbar einfache Lösungen für unsere immer komplexer werdende Welt auf Kosten von Humanität, Freiheit und Vielfalt versprochen. Dabei verliert Selbstverständliches wie die Meinungsfreiheit und die Objektivität von (wissenschaftlichem) Faktenwissen seine bis dahin unumstrittene Gültigkeit. Die feste Überzeugung, dass demokratische Spielregeln als die besten und humansten Grundpfeiler einer Gemeinschaft dienen, die großartige Chancen und Perspektiven ermöglichen, ohne dabei die Schwächeren zu vergessen, gerät ins Wanken. Wichtige gesellschaftliche Grundlagen und Traditionen, wie beispielsweise die Freiheit der Presse, werden verunglimpft und sind gefährdet.

Im persönlichen Bereich beobachte ich, dass Unterstellungen, Verletzungen und Angriffe zunehmend einen neuen aggressiven Sprachduktus prägen. Die bis dato gültigen Grenzen des Anstandes und der Achtung des Andersdenkenden werden nicht mehr grundlegend akzeptiert. Die Verlässlichkeit und Gültigkeit der gewachsenen und bewährten Regeln des demokratischen Miteinanders werden ausgehöhlt. Ein oftmals nicht mehr überschaubarer Informationstsunami führt dazu, dass als Reaktion auf die als zunehmend unvereinbar erlebte Komplexität unserer Welt stark voneinander abgegrenzte Subwelten entstehen, die sich kaum mehr verstehen, sich voneinander entfernen und sich zum Teil sogar aggressiv zu bekämpfen beginnen.

Ich bin besorgt darüber, dass die großen Verführer unserer Zeit wieder an Macht und Einfluss gewinnen, weil sie ein einfaches (und auch von vielen ersehntes) Narrativ anbieten: Wir beenden euer Zerrissen-Sein zwischen dem Anspruch einer modernen, pluralistischen und weltoffenen Gesellschaft auf freie Selbstbestimmung und dem Gefühl der Ohnmacht und Angst, wenn staatliche Fürsorge und Kontrolle vermeintlich keinen ausreichenden Schutz mehr für Sicherheit und Wohlergehen des Einzelnen garantieren. Die demokratische Übereinkunft, dass Unterschiedlichkeiten und auch Gegensätze existieren dürfen und dass trotz manchmal zähem Ringen dennoch ein gemeinsames, friedfertiges Miteinander im Interesse aller sein muss, wird nicht mehr als verbindliches Element anerkannt. Die Anwälte der offenen Gesellschaft werden als Brandstifter an den Pranger gestellt, die Wahrheit pulverisiert. Verunsicherung und Ängste entstehen, wenn Glaubhaftigkeit und Vertrauen verloren gehen. Obwohl es paradox scheint: aber wenn die Freibeuter der demokratischen Grundordnung die Manipulation überzeugend (d.h. glaubhaft) als Erlösung anpreisen, wird das verführerische Narrativ tatsächlich mächtig: „Macht Euch keine Sorgen mehr um die Wahrheit, es ist wieder ganz einfach: wir konstruieren was Ihr glauben sollt.“ Diese Form der manipulativen Glaubhaftigkeit ist stärker als die Mühsal der Wahrheitssuche.

Was ist zu tun? Wir müssen uns unserer Werte vergewissern und dafür einstehen, ein jeder nach seinen Möglichkeiten. Das heißt auch Farbe zu bekennen, sich äußern und sich einmischen. Wir müssen uns trauen, die Aufschneider und Verführer beim Namen zu nennen und sie mit ihren Motiven und Taten zu konfrontieren. Und wir müssen eine immer verflochtener werdende Welt in ihrer Komplexität auch denen erläutern, die nach einfachen Lösungen rufen. Der gesellschaftliche Diskurs darf kein Seminar im akademischen Elfenbeinturm sein.

Wir Lions haben hierfür eine besondere Verantwortung übernommen. Unsere Clubs leben von der Vielfalt ihrer Mitglieder, seien sie technisch, kaufmännisch, pädagogisch, juristisch oder medizinisch ausgebildet, in kleinen oder großen Familien aufgewachsen, gläubig oder atheistisch geprägt. Uns alle eint die Vision, dass Vielfalt immer bereichert und dass jeder seinen Platz hat, unabhängig von Hautfarbe, Religion oder Ethnie. Wir haben uns verpflichtet, etwas von dem, was wir selbst an Unterstützung und Förderung in Familie und Gesellschaft erfahren haben, zurückzugeben an jene, die unserer Hilfe bedürfen. Das ist heute wichtiger denn je, auch als Zeichen gegen Abschottung und Verführung.

Wir bitten Sie alle, mit uns in diesem Sinne für den Erhalt und die Weiterentwicklung unseres gesellschaftlichen Miteinanders, unserer Werte und unserer (nicht selbstverständlichen) freiheitlichen Grundverfassung einzustehen.